„Den klassischen Massenmedien schwimmen die Felle allmählich davon“

Quelle: Screenshot Youtube (https://www.youtube.com/watch?v=hYFRek6RM98)

Die bisher zum Schweigen verurteilte Mehrheit habe durch die sozialen Medien Foren gefunden, sich gegen die Mainstream-Medien selbst zu Wort zu melden. Das sei nicht ganz ungefährlich für die Mächtigen, meint Medienwissenschaftler Norbert Bolz.

Der frühere ZDF-Moderater Wolfgang Herles traf Norbert Bolz zum Interview, um sich mit ihm über das Verhältnis zwischen Medien und Politik zu unterhalten. Für Herles, mittlerweile bei „Tichys Einblick“, war es vor über 30 Jahren am Beginn seiner Journalismus-Karriere noch selbstverständlich, die Mächtigen grundsätzlich zu kritisieren. Dies habe sich aber offensichtlich geändert:

„Wir haben das Phänomen, dass die Mainstream-Medien Merkel verteidigen, über Jahre hinweg. Wie kommt das? Ausgerechnet die Linken sagen, eine Regierung muss von uns verteidigt werden“, so Herles.

Merkel-Phänomen: die totale Herrschaft

Für Norbert Bolz hängt dies wahrscheinlich damit zusammen, dass die deutschen Journalisten immer schon Gesinnungsjournalisten gewesen seien.

„Das heißt, sie haben sich nie damit begnügt, einfach nur zu berichten und zu analysieren, sondern sie wollten auch immer schon Meinungen voranbringen“, so Bolz.

Merkel habe es geschafft, alle „linken Themen“ selbst zu besetzen, indem sie die SPD „links überholt“ und den Grünen alle „grünen, eigenen Themen“ weggenommen habe.  Innerhalb des Parlaments gebe es dadurch keine sachlichen Themen mehr, die Merkel nicht selber vertrete – und zwar besser und nachdrücklicher als die anderen, meint Bolz weiter.

Das sei das eigentlich Erstaunliche an der Merkel-Regierung: die totaler Herrschaft, nicht nur über die eigenen Leute, sondern auch die, die scheinbar in der Opposition sind.

„Es gibt im Grunde nur noch die Möglichkeit einer Radikalkritik der bestehenden Ideologie, auf der unsere Kultur zur Zeit beruht, oder eben mit diesen Wölfen zu heulen. Und genau das macht unser Journalismus. Und er kann es deshalb machen, weil er einen Ersatzgegner gefunden hat: Man kritisiert nicht die Regierung, sondern man kritisiert ein Phantom der Neuen Rechten“, analysiert der Medienwissenschaftler.

Dieses Phänomen würden die Mainstream-Medien in Ausmaß und Relevanz absichtlich überschätzen, weil man froh darüber sei, einen Popanz gefunden zu haben, auf dem man alle kritische Energie ablenken könne, um dann umso affirmativer sich der Regierungspolitik zuwenden zu können.

Bolz weiter: „Wer nicht dem linken Mainstream folgt, ist rechts, wer rechts ist, ist ein Rechtspopulist, wer rechtspopulistisch ist, ist im Grunde genommen schon ein Nazi. Und genau diese Assoziationskette ist die eigentliche Gefahr unserer politischen Kultur heute, weil sie jedes Argument, das nicht abgesegnet ist vom politischen Mainstream in eine Ecke stellt, die gar nicht mehr mit Argumenten bedient wird, sondern nur noch mit Hass.“

Schraube der Political Correctness nicht folgenlos überdrehen

Es bestehe überhaupt kein Interesse mehr, auf politische Fragen politisch zu reagieren, so Bolz weiter. Das zeige sich gerade auch bei der Berichterstattung über die Einwanderungs- und Grenzpolitik Donald Trumps.

Der US-Präsident sei weltpolitisch und auch kulturell betrachtet ein hilfreiches Phänomen. Es zeige nämlich, „dass man die Schraube der Political Correctness nicht einfach folgenlos überdrehen kann“. Man müsse dann mit harten Gegenreaktionen rechnen. Trump könne auf die Wut unendlich vieler Menschen setzen, die sich Jahrzehnte lang gedemütigt gefühlt haben durch das Projekt der Political Correctness. Ähnlich sei es auch in Europa.

Bolz sieht das Problem weniger in der Politik als in den Medien, die genau das nicht leisten würden, was sie sich scheinbar auf ihre Fahnen schreiben: einerseits Kritik an den Mächtigen und andererseits die Aufklärung der Öffentlichkeit. Stattdessen seien sie laut Bolz zu „Hysterie- und Angstmaschinen“ geworden.

„Die klassischen Massenmedien sind immer tiefer in Richtung Emotionalisierung und Personalisierung gegangen. Das Analytische tritt immer mehr zurück. Offensichtlich weil man davon ausgeht, dass das Publikum im Grunde nur noch „Entertainment“ will“, so Bolz.

Ende der Schweigespirale

Das Aufkommen der alternativen Medien und sozialen Netzwerke sieht Bolz positiv. Dadurch finde die zum Schweigen verurteilte Mehrheit öffentliche Foren, „um sich gegen die Mainstream-Öffentlichkeit der klassischen Medien zu artikulieren und zu Wort zu melden“, meint der Medienwissenschaftler im Interview.

Diese „Schweigespirale“ werde jetzt aufgebrochen und deshalb, glaubt Bolz, reagierten die klassischen Massenmedien so hysterisch und würden um sich schlagen.

„Dieser Kampf gegen ‚Fake-News‘ und die Hysterie um den Begriff ‚Lügenpresse‘ zeigt, dass die klassischen Massenmedien sich in einer Art Abwehrgefecht empfinden – ich glaube, zu Recht in einem Abwehrgefecht -, weil sie merken, dass die Felle schwimmen ihnen allmählich davon“, so Bolz.

 

 

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