Der Wiener Kurdistan-Experte Herbert Fritz war an der IS-Front

Info-DIREKT bringt heute den ersten Teil eines Beitrag des Wiener Kurdistan-Experten Dr. Herbert Fritz, der mehrfach in teils extrem wagemutigen Einsätzen die IS-Front im irakischen und syrischen Teil Kurdistans besucht hat und von dort aus erster Hand berichtet. Im Anhang zu diesem Beitrag findet sich eine Serie von Bildern von der IS-Front, die Herbert Fritz Info-DIREKT zur exklusiven Veröffentlichung überlassen hat.

Dr_Herbert_Fritz

Herbert Fritz, Fachbuch-Autor und -Herausgeber, ist durch zahlreiche Publikationen zur Kurdenfrage hervorgetreten. Sein Buch Die kurdische Tragödie: Ein Volk zwischen den Fronten (2004) gilt als Klassiker. Demnächst erscheint ein weiteres Buch über die jüngsten Reisen des Autors an die IS-Front, das auch über seine persönlichen Gespräche mit Konfliktbeteiligten berichten wird. Ein weiterer höchst aktueller Augenzeugenbericht ist auf seiner Heimseite abrufbar: Der Islamische Staat und die Kurden (2014).

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Der „Islamische Staat“, Bedrohung und Chance für die Kurden

Von Dr. Herbert Fritz

Der völkerrechtswidrige Angriff der USA auf den Irak Saddam Husseins im Jahre 2003 gilt als die Geburtsstunde jener Terrororganisationen, die nach mehrmaligen Namensänderungen heute als „Islamischer Staat“ für weltweites Unbehagen sorgt.

Ihr kometenhafter Aufstieg begann im Sommer 2013 mit der Erstürmung des berüchtigten Gefängnis von Abu Ghraib, der am 10. Juni 2014 mit der Eroberung Mosuls, der zweitgrößten irakischen Stadt und der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinzen Ninive, Salahaddin und Anbar seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Die irakische Armee war Hals über Kopf geflohen, etwa 30.000 Regierungssoldaten sollen desertiert sein, die Zahl der ISIS-Angreifer (damals hieß der IS noch ISIS) habe dagegen schätzungsweise nur 800 betragen. Dabei brachten die ISIS-Kämpfer neben den Waffenlagern der lokalen Garnison auch eine noch unbekannte Zahl US-Black-Hawk-Hubschrauber, weiteres Fluggerät sowie schwere Waffensysteme unter ihre Kontrolle. Bei der Plünderung der Zentralbankfiliale und anderer Geldhäuser in Mosul fielen der Organisation zudem 429 Millionen US-Dollar in die Hände.

Sternstunde für Kurdistan

Am 12. Juni 2014 rückten Truppen der Kurdischen Regionalregierung (KRG) in Kirkuk, das von den irakischen Regierungssoldaten fluchtartig verlassen worden war, ein und kamen damit den vordringenden ISIS-Kämpfern zuvor. Auch andere kurdische Gebiete, die so wie auch Kirkuk außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der kurdischen Regionalregierung lagen konnten von den Pesch Merga besetzt werden.

Auch in Syrien hatte die Destabilisierungspolitik der US-Amerikaner nicht nur zur Gründung und zum Anwachsen islamistischer Organisationen geführt, sondern auch den dortigen Kurden die Möglichkeit eröffnet, sich Freiräume zu schaffen und diese schrittweise zu erweitern.

Am 12. November 2012 hatten die kurdischen Parteien Syriens unter Federführung der PYD, einer Schwesterpartei der PKK, beschlossen, die Grundlagen der Selbstverwaltung in den als Rojava bezeichneten syrischen Kurdengebieten zu legen, die aus den drei voneinander getrennten Bezirken Amude (Cezira), Afrin und Kobane mit je einer Regierung bestehen. Konferenzen werden per Skype abgehalten, da die Landverbindung zwischen den drei Kantonen, so werden diese Kurdengebiete bezeichnet, durch arabische Landstriche führen. Militärische Formationen, sogenannte „Volksverteidigungseinheiten“ wurden aufgestellt, wobei die Männereinheiten die Bezeichnung YPG führen, die Fraueneinheiten YPJ. Die PYD hatte lokale Räte organisiert und Kulturheime und Sprachschulen gegründet, die die ethnische und religiöse Situation Nordsyriens widerspiegeln. Die christlichen Assyrer werden neben Arabern und Kurden als dritte Volksgruppe, ihre aramäische Sprache als dritte Sprache anerkannt.

Der ISIS hatte die Kurden in Syrien – so wie auch die im Irak – zunächst unbehelligt gelassen. Angegriffen wurden sie von anderen islamistischen Gruppen, vor allem von Kämpfern der al-Nusra-Front.

Zerstörung von „Sykes-Picot“ und Ausrufung des „Kalifats“

Bereits am 10. Juni 2014 hatte der ISIS im Internet ein Foto mit dem Titel „Die Zerstörung von Sykes-Picot“ verbreitet, was nicht nur in radikal-islamistischen Kreisen auf Zustimmung stieß und am Sonntag, den 27. Juni 2014, zum Beginn des Ramadan rief ISIS in einer Audiobotschaft die Errichtung eines Islamischen Kalifats aus. An Stelle von „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) soll der neue Staat fortan nur mehr „Islamischer Staat“ (IS) heißen.

In einem IS-Propagandavideo wird dasEnde des britisch-französischen Kolonialpakts von 1916 verkündet (YouTube-Screenshot)
In einem IS-Propagandavideo wird dasEnde des britisch-französischen Kolonialpakts von 1916 verkündet (YouTube-Screenshot)

PKK als Retter

In den ersten Augusttagen 2014 spielte sich im Nordwesten des Irak eine Tragödie ab, als Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) die vorwiegend von Jesiden bewohnten Städte Sindschar (Sengal) und Samar sowie mehrere weitere Orte unter ihre Herrschaft bringen konnten, die bislang von kurdischen Kämpfern kontrolliert, aber von der Zentralregierung verwaltet wurden.

Lage_Dschabal_Sindschar

In Panik waren die Menschen vor den Extremisten in das Sindschar-Gebirge geflohen. Die anwesenden Pesch Merga hatten sich kampflos zurückgezogen und die wehrlosen Jesiden ihrem Schicksal überlassen. Zu ihrer Entschuldigung könnte angeführt werden, dass dieses Gebiet außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Regionalregierung liegt, dass nur wenige Pesch Merga vor Ort waren und dass sie insgesamt eine Frontlinie von über 1.000 km zu verteidigen hatten. Trotzdem hinterlässt diese Flucht eine Schramme auf dem Ehrenschild der sonst so tapferen Pesch Merga. Tagelang mussten die Geflohenen in den Bergen ohne Nahrung und ohne Wasser ausharren. Auch da sind noch viele gestorben.

Dass aber trotz dieser bedrohlichen Umstände ein großer Teil der Flüchtlinge gerettet werden konnte, war einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Kämpfern der PKK und ihrer syrischen Schwesterpartei PYD zu verdanken, die, obwohl zahlenmäßig den Daasch (so werden die Kämpfer des IS genannt) weit unterlegen, einen Korridor zum Sindschar-Gebirge freigekämpft hatten und so mindestens 30.000 Jesiden befreien konnten.

Im Flüchtlingslager Dayrik herrschte Verzweiflung. Die schrecklichen Erlebnisse hatten die Menschen gezeichnet. Gezeichnet. Auch wenn sie den Fängen des IS entkommen konnten, so wusste doch fast jeder über die Gräueltaten der „Gotteskrieger“ zu berichten.

Übereinstimmend berichteten sie von Exekutionen, von ermordeten Kindern und versklavten Frauen, die wie Vieh auf dem Markt verkauft werden. Irakischen Medien zufolge habe der islamische Staat Festpreise für jesidische und christliche Frauen festgelegt. Die Tarife reichen von 35 Euro für ältere Frauen bis zu 138 Euro für Kinder.

„Meine Frau spricht seit unserer Flucht vor den Daasch nicht mehr“, erzählte mir einer der Flüchtlinge. „Als wir uns vor den Islamisten in Sicherheit bringen wollten, wurden wir beschossen. Meine Frau und ich blieben unverletzt, aber unsere kleine Tochter wurde getroffen. Sie verblutete in den Armen meiner Frau“.

Am 6. August 2014, unmittelbar nach der gelungenen Befreiungs-Aktion benachrichtigte die PKK die Leitung des Flüchtlingslagers Makhmur, in dem seit den 1990er Jahren kurdische Flüchtlinge aus der Türkei leben, die alle dem PKK-Lager zugehörig sind, von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Daasch und schickte mit Genehmigung Barsanis und der PUK, umgehend Kämpfer nach Makhmur. Unter der Leitung von Nilufer Koc, der Co-Vorsitzenden des Kurdischen Nationalkongresses wurden Busse organisiert, um die Bewohner zu evakuieren. Um Mitternacht waren alle Zivilisten in Erbil in Schulen und Moscheen untergebracht. Unmittelbar nach Ankunft der PKK-Kämpfer am 7. August versuchten die Daasch die Verteidiger zu überrennen, wurden aber abgewehrt. Nach einem Ruhetag griffen sie am 9. und 10. August erneut das Lager an. Sie wurden aber geschlagen und traten den Rückzug an. – Am 8. August hatte die AUA für einige Tage ihre Flüge nach Erbil eingestellt…

Kurdistan im Herbst 2014

Von Semalka aus, dem nördlichsten Zipfel der syrisch-irakischen Grenze hatte ich, gemeinsam mit einem niederländischen Journalisten in einem alten Boot den Tigris überquert. Auf der anderen Seite erwartete uns schon unser syrisch-kurdischer Führer und nach einer gemütlichen Kontrolle ging es per Auto weiter. Auf dem Weg nach dem Städtchen Dayrik trafen wir auf einen beeindruckenden Trauerzug. Zwei gefallene „Schahid“ (Märtyrer) wurden in einem feierlichen Autokonvoi zum mehrere Kilometer entfernten Friedhof gefahren. In den etwa hundert(!) Autos, die mit Fahnen der PYD und Fotos von Abdullah Öcalan versehen waren, saßen weibliche und männliche Kämpfer. Den die Straße säumenden Menschen zeigten sie das V- (Victory-) Zeichen, was auch umgekehrt der Fall war. Die Begräbnisfeierlichkeiten fanden ohne geistlichen Beistand statt. Die gehaltenen Reden wirkten kämpferisch. Auf meine immer wieder gestellte Frage, „wie könnt ihr einer materiell derart überlegenen Armee, wie der des IS mit euren bescheidenen Mitteln standhalten“ kam immer wieder, ob in Makhmur, Kirkuk oder in Cezire die gleiche Antwort: „Wir kämpfen für unsere Freiheit und für unser Volk“. Redur Xelil, der Sprecher der YPG (Volksverteidigungseinheiten) im Kanton Cezire erzählte: „Noch vor wenigen Tagen fanden in einigen Dörfern südlich von Tel Marouf Angriffe der Daasch statt, die wir allerdings abwehren konnten. Tel Marouf selbst mit seiner berühmten Moschee befand sich im März dieses Jahres zehn Stunden in der Hand der Daasch. Im Inneren der Moschee hatten sie Feuer gelegt, den Sufi-Schrein und das Minarett gesprengt und die Bibliothek verwüstet“. Auf die Frage nach dem Verhältnis seiner Kämpfer zur syrischen Armee meinte er, es gäbe kein Verhältnis. „Wir kämpfen derzeit nicht gegeneinander, haben aber auch keinerlei Kontakt zu Regierungssoldaten. So befindet sich zum Beispiel der Flughafen von Qamishli nach wie vor in der Hand des syrischen Regimes, auch in Al Hasakah halten Assads Truppen noch einen Stützpunkt“.

Anschließend gab er uns noch einen Bericht über die militärische Lage. Mit den Worten „wir werden bis zur letzten Patrone kämpfen“ verabschiedete er uns.

Danach ging es nach Tel Marouf, wo wir die vom IS zerstörte Moschee in Augenschein nehmen konnten.

Bevor wir zu den letzten Stützpunkten der PYD weiter fuhren, mussten wir in eine Militärkluft schlüpfen, um etwaigen Scharfschützen des IS kein besonderes Ziel zu bieten. Die vorgeschobenen Posten waren einfach, aber gut geschützt und die Soldaten verfügten neben ihrer Bewaffnung auch über Sprechgeräte und Ferngläser.

Schleier oder Kalaschnikow

Der Frauenanteil in den syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten, deren Mitgliederzahl sich auf 40.000 bis 50.000 beläuft, liegt bei 30 Prozent.

Kurdische Frauen machen einen großen Teil der YPG-Milizen aus, die an der Front im syrischen Teil Kurdistans gegen den IS kämpfen. (Foto: Videoscreenshot Mirava News)
Kurdische Frauen machen einen großen Teil der YPG-Milizen aus, die an der Front im syrischen Teil Kurdistans gegen den IS kämpfen. (Foto: Videoscreenshot Mirava News)

Dem Besucher Rojavas begegnet Abdullah Öcalan auf Schritt und Tritt. Auf Plakaten in den Straßen, auf Fotos in den Amtsstuben und vor allem bei Gesprächen und Diskussionen. Der Mann, dessen politisches Ende mit seiner Verhaftung besiegelt zu schien, feierte im Gefängnis seine politische Auferstehung, den Beginn seines zweiten politischen Lebens. In seinem in der Haft verfassten Buch „Sümer Rahip Devletinden Halk Cumhuriyetine“ hatte er die ideologischen und philosophischen Grundlagen für eine Neuausrichtung der PKK festgelegt, die heute im gesamten Einflussbereich der PKK umgesetzt werden.

Unverändert geblieben waren die gesellschaftlichen Positionen der Partei, wie ihre marxistische Ausrichtung und die Forderung nach absoluter Gleichstellung von Mann und Frau. Im Jänner 2000 fand der 7. Kongress der Partei in den Kandil-Bergen im Nordirak statt, auf dem zum ersten Mal die türkischen Kurden auf Eigenstaatlichkeit verzichtet hatten und als Ziel eine Lösung der kurdischen Frage innerhalb bestehender Grenzen angestrebt werden sollte.

Abdullah Öcalans angestrebte Neuerungen bestanden im vorbehaltslosen Bekenntnis zum demokratischen System und in einem generellen Verzicht auf kurdische Eigenstaatlichkeit, das heißt, nicht nur in der Türkei. An dessen Stelle sollte, so ergänzte er im März 2005 sein Programm, ein „demokratischer Konföderalismus“ treten, worunter eigene „nichtstaatliche Administrationen“ zu verstehen sind. Daraus folgt u. a. die Gleichberechtigung der einzelnen Religionen, Volksgruppen und der lokalen Sprachen. Die Verwirklichung dieser Vorstellungen sollte in allen Staaten des Nahen Ostens angestrebt werden. In Rojava wurden mit der Ende 2014 erfolgten Errichtung der kurdischen Selbstverwaltung Öcalans Theorien in die Praxis umgesetzt. Tatsächlich spiegelt sie die ethnische und religiöse Situation Nordsyriens wider. Die christlichen Assyrer werden neben Arabern und Kurden als dritte Volksgruppe, ihre assyrisch-aramäische Sprache als dritte Sprache anerkannt. Die dazu erforderlichen Lehrer befinden sich in Ausbildung oder sind bereits ausgebildet. Um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern wurden auch Schulen nur für Frauen eingerichtet, wo u. a. praktische Dinge, kurdische Geschichte und die Geschichte des Feminismus gelehrt werden. Dass Bildungsniveau der „Schülerinnen“ ist unterschiedlich, so wie auch deren Alter, wie ich anlässlich eines Besuches in der AKADEMIYA RAMANEA A STAR feststellen konnte. Eine Englisch-Lehrerin, die nach wie vor ihr Gehalt vom Assad-Regime bezieht, sitzt neben einfachen Landfrauen. An den Wänden hängen Fotos, die Szenen militärischer Ausbildung zeigen, junge Frauen am Lagerfeuer und ein Foto jener drei „Märtyrerinnen“, die in der Nacht vom 9. Auf den 10. Jänner 2013 in den Räumen des Kurdischen Informationsbüros in Paris ermordet worden waren.

Alle Führungspositionen in Partei und Verwaltung müssen doppelt besetzt werden, wovon eine Person immer eine Frau sein muss. Ob Ministerpräsident oder Kantonspräsident, es gibt immer eine dazugehörige Co-Präsidentin. Im exekutiven und legislativen Rat sind alle drei großen ethnischen Gemeinschaften Rojavas vertreten: Kurden, Araber und assyrische Christen.

Die beiden Kantonspräsidenten von Cezire könnten unterschiedlicher nicht sein. Er, Humeydi Deham El-Hadi ist Araber, Moslem und oberster Scheich des Stammes der Schammar und sie, Hadiya Yousif ist Kurdin. Auf die Frage eines türkischen Journalisten: „Wie fühlen sie sich als Moslem, Mann und Araber, wenn sie gemeinsam mit einer ihnen gleichgestellten Frau das Amt des Präsidenten ausüben?“ Der Scheich lächelte verschmitzt. Er dürfte diese Frage offensichtlich schon des Öfteren gestellt bekommen haben. „Die Frauen verschönern und bereichern unser Leben“, meinte er, ohne auf den Kern der Frage einzugehen.

Im Hauptquartier der PKK

Nilufer Koc, Repräsentantin des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) in Brüssel, hatte von Erbil aus nicht nur meine Reise nach Rojava und die dortige Betreuung bestens organisiert, sondern auch die Fahrt nach Mahmur und danach noch ein Treffen mit der Führung der KCK, der „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ in den Kandil-Bergen. Die KCK als Nachfolgeorganisation der PKK strebt die Umsetzung des von Abdullah Öcalan, ihrem geistigen und nominellen Führer deklarierten „Demokratischen Konföderalismus“ an. Tatsächlich wird die KCK von einem Exekutivrat geführt, an deren Spitze Cemal Bayik und Bese Hozat, die im Juli 2013 die Nachfolge von Murat Karayilan, dem Chef des bewaffneten Arms der PKK angetreten hatten, stehen. Cemal Bayik ließ seiner Co-Vorsitzenden im Gespräch zunächst den Vortritt. Sie wirkte eher zurückhaltend, während er den Kämpfer verkörpert und den Hauptanteil unserer Diskussion bestritt. Beide genossen ganz offensichtlich den Ansehensgewinn, den die PKK im Verlaufe der Kämpfe gegen den IS erworben hatte. „Wir sind die stärkste demokratische Kraft in der Region. Wir verteidigen hier auch die Freiheit Europas. Der IS wird von antidemokratischen Kräften unterstützt. Sie wollen Rojava und die Demokratie zerstören“. Die besondere Kritik der beiden Vorsitzenden galt der türkischen Politik.

„Die Änderung ihrer Haltung ist nur vorgetäuscht, eine Augenauswischerei, eine reine Image-Sache. Erdogan hat hochfliegende Pläne. Er will ein neues Osmanisches Reich unter Einschluss aller Kurden errichten“. Den USA warfen die beiden KCK-Vorsitzenden vor, die türkischen Großmacht-Ambitionen zu unterstützen und nach wie vor eine PKK-feindliche Politik zu betreiben. „Trotzdem hat die PKK seit dem Auftreten des IS an politischem Gewicht in Kurdistan und in der gesamten Region gewaltig gewonnen“.

Dass sich Masud Barsani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung für die Unterstützung durch die PKK ausdrücklich bedankt hatte, wurde von dem Führungsduo mit Genugtuung registriert.

Obwohl die politische Entwicklung im Irak seit dem US-Überfall im Jahre 2003 erstmals die Entstehung eines Kurdenstaates in den Bereich des Möglichen gerückt hat, lehnen die beiden ganz im Sinne Öcalans, diese Möglichkeit ab.

„Ein unabhängiger Kurdenstaat würde keinen Frieden bringen. Freiheit für Kurdistan bedeutet keineswegs die Schaffung eines eigenen Staates. Wir streben eine Union aller demokratischen Staaten im Nahen Osten an. Alle Nationen sollen sich frei entfalten dürfen.“

Ich zitierte den deutschen Dichter und Philosophen Johann Gottfried von Herder, „Völker sind Gedanken Gottes“, was Herr Cemal Bayik wohlwollend zur Kenntnis nahm und mir anschließend versicherte, ich wäre jederzeit willkommen. Bevor ich wieder in das Auto einstieg, das mich zurück nach Erbil brachte, sagte mir einer der bewaffneten Männer voll Stolz:

„Ich bin Sozialist – kurdischer Sozialist!“

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Info-DIREKT dankt Dr. Herbert Fritz für die Rechte zur Veröffentlichung der folgenden Fotos:

IMG_2025 Kurdische Mädchen, die den gefallenen Kämpfern die letzte Ehre erweisen
IMG_2108 Im Frontbereich in Cezire, Herbst 2014; 2.v.r.: Dr. Herbert Fritz im Tarnanzug
IMG_2218 Unter dem Bild von Abdullah Öcalan: Cemil Bayik und Bese Hozat, die beiden Co-Präsidenten der „Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans“ (KCK); rechts Dr. Herbert Fritz
 IMG_2536 Verteidigungsstellung bei Kirkuk
 IMG_2542 Front bei Kirkuk
 IMG_2554 Bei Kirkuk
 IMG_2576 Dr. Herbert Fritz an der Front bei Kirkuk
 IMG_2583 Verteidigungsstellung bei Kirkuk
 IMG_2604 Soldatinnen der neugegründeten jesidischen Selbstverteidigunseinheiten in Sindschar
 IMG_2630 Verteidigungsstellung in Sindschar an vorderster Linie
 IMG_2634 Verteidigungsstellungen in Sindschar
 IMG_2646 Kämpfer der PKK (links) und der Pesch Merga (Mitte), die zum ersten Mal in ihrer Geschichte Seite an Seite kämpfen, gemeinsam mit Dr. Herbert Fritz (rechts)
 IMG_2655 Zwei Pesch Merga-Kämpfer im Lager der PKK in Sindschar

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Beitragsvideo: https://www.youtube.com/watch?v=u2J8-dC64dg (Standard YouTube License)

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