Der Krieg als Vater aller Dinge?

Bildkomposition: Info-DIREKT; Foto: By 7th Army Joint Multinational Training Command from Grafenwoehr, Germany (Austrian forces at Combined Resolve II) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

„Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Freien, die anderen zu Sklaven“. Dieses Zitat, dessen erster Teil weithin bekannt ist, stammt vom antiken Philosophen Heraklit. Das frappierende daran ist, dass diese Worte eine zeitlose Gültigkeit zu haben scheinen.

Der Krieg war und ist seit Menschengedenken Alltag. Irgendwo wütet er immer und irgendjemand wird durch ihn gerade zum Sklaven, während irgendjemand anderer zum Freien wird. Meist sind die Menschen freilich glücklicher und besser dran, wenn der „Vater aller Dinge“ gerade nicht bei ihnen anwesend ist. Und doch scheint diese spezielle Vaterschaft, die immer Vernichtung und Leid mit sich bringt, auf der anderen Seite eine besondere Lebensfähigkeit und Kraft zu übermitteln.

Werteverfall

Was nämlich passiert, wenn sehr lange kein Krieg gewesen ist, können wir in vielen Staaten Europas beobachten: Es kommt zu einem Verfall der Haltungen und zu einer Ausdünnung der kohärenten Kräfte in der Gesellschaft. Wenn sich der Kriegsgott Mars einmal länger nicht hat blicken lassen, verdunsten die nationalen Energien und die Degeneration macht sich breit.

Der Panzer als Folklore

Das Militärische, Kriegerische, Kämpferische wird zur reinen Folklore für Staatsbesuche oder zur Staffage für den Nationalfeiertag, aber niemand nimmt Offiziere und Truppe angesichts des Dauerfriedens noch wirklich ernst. Und die Uniformierten wirken in ihrer Camouflage auch wie ein bisschen aus der Zeit gefallen, wenn daneben die Pazifisten ihre Fähnchen schwingen und die eigene Wehrlosigkeit als Tugend und Errungenschaft feiern. Die Armeen verlieren durch diese gesellschaftliche Degeneration ihre Moral und die Soldaten achten irgendwann nur noch darauf, ob sie am Freitag Nachmittag eh ihren Frühschluss mit freiem Wochenende bekommen.

Keine Kriegsverherrlichung

Nein, das ist kein Text, der den Krieg verherrlicht. Wir bleiben strikt bei Heraklit und überlegen uns einfach ganz nüchtern, was seine Worte heute für uns bedeuten. Man kann natürlich sagen, wir modernen Menschen müssen den Krieg endlich überwinden, wer braucht da noch über Heraklit nachzudenken. Und wir waren zweifellos wirklich am besten Weg, in ganz neue Dimensionen des friedlichen Daseins vorzudringen, als wir 1989 den Kalten Krieg beendet haben.

Krieg ist noch immer präsent

Aber wir wissen, dass ein Nachdenken über antike Philosophen wie Heraklit immer gut tut und wir wissen auch, dass es in Europa noch vor kurzem einen lokalen Krieg gegeben hat, den die EU aufgrund ihrer inneren Schwäche lange nicht beenden konnte. Die stets kriegsbereiten US-Amerikaner mussten zur Hilfe eilen und erst durch UNO-Interventionen und langwierige Besetzungen und Verhandlungen, die immer wieder von Kampfhandlungen unterbrochen wurden, konnte Stabilität am Balkan hergestellt werden. Das offizielle und militärische Europa bot damals oft ein Bild der Konfusion und nicht eines der Union. Und schon gar keines, das ein Vertrauen in die europäischen Armeen erzeugte.

EU und Militär – unlösbar?

Die militärische Frage ist bis heute in der EU überhaupt noch nicht gelöst. Auch in den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht, selbst wenn sie Mitglieder der NATO sind. Wir in Österreich beharren zwar auf der Neutralität, wissen aber ganz genau, dass alles, was über einen Schutz der Grenze hinausgeht, aufgrund der mangelhaften personellen und materiellen Ausstattung unserer Armee zum Desaster würde. (Übrigens trauen wir uns derzeit ja nicht einmal, die Grenzen in dem Maße zu schützen, wie es die Rechtslage erfordert.)

Paradoxe Situation

In Wirklichkeit ist Europa durch die lange Phase des Friedens seit 1945 in eine paradoxe Situation geschlittert: Wir wollen zwar diesen inneren und äußeren Frieden erhalten, wissen aber nicht genau, wie. Zum Erhalt des Friedens braucht man keine weißen Tauben, Sonntagsreden und Kundgebungen, sondern genau diejenigen Utensilien, die der „Vater aller Dinge“ bereitstellt: Nämlich die ursprünglichen männlichen Tugenden wie Kampfkraft, Mut, Entscheidungsstärke und taktisches wie strategisches Denken. Und ebenso ist es notwendig, brauchbare Kampfmittel und gut ausgebildete Soldaten zur Verfügung zu haben. Eine Armee von Zivildienern und Regenbogenfahnen-Schwingern wird im Ernstfall nicht sehr viel ausrichten können. (Nichts gegen Zivildiener, die werden zumindest im Sanitätswesen gebraucht.)

Misstrauen ist angebracht

Nationen, die ihr Staatsgebiet und ihr Staatsvolk nicht einmal mehr vor den in Horden zu Fuß eindringenden illegalen Immigranten schützen können, sollten die Bürger nachdenklich und misstrauisch machen. Und politische Gruppierungen, die das eigene Abrüsten und die betuliche Zurückhaltung bei jedem Konflikt auf dieser Welt für ein ernsthaftes politisches Ziel halten, sollten überhaupt nicht mehr gewählt werden. Ihnen kann man am allerwenigsten trauen: Sie haben Heraklit nie gelesen oder ihn gar nicht verstanden.

Wer den Frieden bewahren will, muss nämlich nicht nur den Heraklit kennen, sondern ihn auch um ein bekanntes, auf Cicero zurückgehendes Zitat erweitern: „Si vis pacem, para bellum“ – Wenn du den Frieden willst, musst du den Krieg bereiten.

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