Datenschutz: Was darf ein wehrhafter Rechtsstaat?

By Dirk Ingo Franke [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], from Wikimedia Commons

Die Diskussion über den „gläsernen Menschen“ wird seit einigen Wochen leidenschaftlich geführt. Doch nicht nur der Umgang von Unternehmen mit persönlichen Daten ist ein Problem. Auch die immer weitergehenden Rechte und das ausufernde Interesse des Staates an der Privatsphäre seiner Bürger beunruhigt nicht nur Datenschützer. Bei der Verfolgung von Straftätern hat der Staat so viele Möglichkeiten wie noch nie in der Geschichte. Doch wo liegt die Grenze zwischen Sicherheitsinteresse und Bürgerrechten?

Von Jan Ackermeier

Es waren erschreckende Bilder, die uns vor gut zehn Monaten aus Hamburg vom G20-Gipfel erreichten: Randalierende Chaoten, brennende Autos, geplünderte Geschäfte und verletzte Passanten und Polizisten. Die Polizei fahndet auch öffentlich mit Fotos mutmaßlicher Täter und konnte bisher 35 der 107 gesuchten Verdächtigen ausforschen.

Szenenwechsel: Als der islamistische Terrorist Anis Amri am 18. Dezember 2016 am Berliner Breitscheidplatz mit einem LKW in einen Christkindlmarkt rast und mit seiner Wahnsinnstat elf Menschen tötet und 55 zum Teil lebensgefährlich verletzt, kommt Monate später heraus, dass die Polizei ihm schon lange auf der Spur war. Ämterversagen und Ermittlungsfehler sorgen aber dafür, dass Amri nicht konsequent beschattet wird und seine Tat im Dezember 2016 möglich ist.

Datensammelwut des Staates

Es ist klar, dass sich ein Staat Szenen wie in Hamburg nicht leisten kann und darf, wenn er den Schutz seiner Bürger sicherstellen will. Abseits von legitimem politischen Protest ist bei der Anwendung von Gewalt die Grenze überschritten. Auch Terroranschläge mehren sich und verunsichern die Menschen. Die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der islamistischen Attentäter der vergangenen Jahre unter dem Deckmantel der Asylkrise nach Europa kamen, ist eine Katastrophe für die innere Sicherheit und für die Akzeptanz von tatsächlich politisch Verfolgten, die in Europa Schutz suchen.

Die zwei genannten Beispiele zeigen, dass der Staat – und hier vor allem die Ermittlungsorgane – in seiner Reaktion auf die Herausforderungen ein ambivalentes Gesicht zeigt. Auf der einen Seite sind der Datenhunger und die technischen Möglichkeiten so umfassend wie noch nie in der Geschichte der Menschheit, auf der anderen Seite scheint dies keine Garantie für Ermittlungserfolge zu sein. Immerhin braucht es nicht nur die Daten, sondern auch Ermittler, die diese Ermittlungsergebnisse in Beziehung setzen und ein Lagebild formen können. An dieser Stelle ist – wie der Fall Amri und andere zeigen – noch enormer Nachholbedarf gegeben. Eine Ausweitung der Rechte der Ermittlungsorgane heißt noch lange nicht, dass die innere Sicherheit steigt.

Sicherheitsbedürfnis des Bürgers versus Freiheitsrechte     

Eine weitere Gefahr sehen viele Kritiker aber auch in der Möglichkeit, dass der Staat eine Doppelstrategie verfolgt. Einerseits soll der Kampf gegen Terror und Kriminalität durch die Nutzung moderner Hilfsmittel und Möglichkeiten unsere Sicherheitsorgane handlungsfähiger machen. Andererseits befürchten nicht Wenige, dass der Staat diese Handlungsfähigkeit auch gegen Kritiker im eigenen Land, die ihre Meinung gewaltfrei vertreten, einsetzen könnte und wird.

Das neue Polizeigesetz in Bayern etwa billigt der Exekutive so viel Befugnisse wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu. Totale Überwachung mit mangelhafter richterlicher Kontrolle, Inhaftierungen bereits bei „drohender Gefahr“, präventive Aufstandsbekämpfung. Der Verdacht liegt nahe, dass nicht nur Kriminalitätsbekämpfung ein Ziel der politischen Entscheidung zu mehr Befugnissen war, sondern auch eine mögliche Ruhigstellung von Kritikern an eben dieser Politik.

Hier wird aber eine weitere Grenze überschritten, die für einen freiheitlichen Rechtsstaat eine rote Linie bedeuten sollte. Terror- und Kriminalitätsbekämpfung sind basale Staatsaufgaben, gleichzeitig sind aber die Abwehrrechte des Bürgers gegen einen Staat, der sich als Datenkrake betätigt und die Bürgerrechte gefährdet, ebenso ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden Demokratie. Das vernünftig ausbalancierte Spannungsfeld zwischen Bürgerrechten und Rechten des Staates ist die Grundlage für eine pluralistische Gesellschaft. Gerät diese Balance in eine Schieflage, ist die Demokratie in Gefahr!

Weitere Artikel …