Marcus Franz: Das Wahlrecht muss neu definiert werden

Von Foto: Bernd Schwabe in Hannover - Foto: Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Das aktive Wahlrecht gilt als zentrales „Heiligtum“ in unserer säkularisierten Welt und es wird von vielen Menschen deswegen als sakrosankt betrachtet. Wer es in Frage stellt, gerät schnell in den Verdacht, höchstens ein Republikaner, aber keinesfalls ein Demokrat zu sein. Daher scheuen sich nicht nur die meisten Politiker, sondern auch viele Intellektuelle, den Status quo des Wahlrechts zu hinterfragen.

Ein Diskussionsbeitrag von Marcus Franz

Dabei ist es gerade beim Wahlrecht in unserer immer komplexer und globalisierter werdenden Welt notwendiger denn je, eine Evaluation desselben zu versuchen und neue Formen und Anpassungen zu überlegen. Und, notabene, nicht um die Demokratie und die Freiheiten des Bürgers zu schwächen, sondern um diese zu stärken.

One man, one vote

Das in den meisten westlichen Nationen gelebte Prinzip One-man-One-Vote ist zwar alt, aber im Ursprungsland der Demokratie gar nicht bekannt gewesen: In der vielbesungenen Wiege der Volksherrschaft (nämlich in der antiken griechisch-attischen Demokratie) gab es unterschiedlich gewichtete Stimmrechte und eine ganze Menge Menschen, die bei den politischen Entscheidungen gar nicht mitstimmen durften. Die historischen Details wiederzugeben würden hier den Rahmen sprengen, jeder kann das ohnehin im Internet nachlesen. Aber es ist wichtig zu wissen, dass gerade die Demokratie in ihrer Urform von einem ganz anderen Verständnis als dem heutigen getragen wurde.  Über die Zeitläufte war dieses Verständnis immer auch den verschiedensten Änderungen unterworfen.

Alles fließt

So ist das verfassungsmäßig garantierte Wahlrecht in seiner heutigen Form weder in Stein gemeisselt noch ist es eine unveränderliche Naturgewalt. Auch wenn es stets reflexartige und daher nicht durchdachte Proteste gibt, wenn man das Wahlrecht substanziell hinterfragt, muss die Überlegung möglich sein, ob dieses Recht nicht verändert werden sollte. Was spricht dagegen, unser Wahlrecht  an die jeweils bestehenden Pflichten des Wählers gegenüber der Gesellschaft anzupassen? Warum soll beispielsweise jemand, der für das Land, in dem er lebt, kaum etwas geleistet hat, dasselbe Wahlrecht haben wie ein anderer, der durch seine fleißige Arbeitsleistung jahrzehntelang erkleckliche Steuern abliefert und für das Funktionieren und den Erhalt der Gesellschaft sorgt? Und warum sollte man das Wahlrecht  nicht auch mit der jeweiligen intellektuellen Kompetenz des Wählers/Bürgers abgleichen?

Die Mehrleister sollen mehr Stimmgewicht haben

Zweifellos trägt jemand, der sehr viel Steuern und Beiträge zahlt, zur Finanzierung und zur Aufrechterhaltung des Gemeinwesens mehr bei als jemand, der staatlich alimentiert wird und nicht arbeitet. Das ist eine triviale Wahrheit. Die Situation, dass der Alimentierte bei Wahlen völlig gleichberechtigt über seine Unterstützer bestimmt, ist letztlich unfair und nicht bis zu Ende gedacht, auch wenn das „allgemeine und gleiche Wahlrecht“ wunderbar menschenwürdig und sozial gerecht klingen mag. Im Grunde stärkt es in seiner jetzigen Form tendenziell immer die an der Umverteilung interessierten Parteien und deren Anhänger. Das „gleiche Wahlrecht“ erzeugt daher eine prinzipielle gesellschaftliche Schieflage, weil es im Kern nicht „gleich“ ist, sondern eine Bevorzugung der schlechter Weggekommenen darstellt.

Das Punkte-Wahlrecht

Um die Situation zu optimieren, wäre für Wahlen ein Punkte-Wahlrecht vorstellbar, das abhängig von der Steuerklasse und der Bemessungsgrundlage adjustiert wird. Wer in der höchsten Steuerstufe ist, bekommt die meisten Stimmpunkte. Wer keine Steuern zahlt, bekommt den Basispunkt. Bei den aktuell 7 Lohnsteuerklassen könnte man eine Basisklasse schaffen und dann je zwei Steuerklassen zusammenfassen. Wir hätten dann abhängig von der jährlichen Steuerleistung folgende Stimmpunkte pro Bürger:

  • Keine Lohnsteuerleistung: 1 Punkt
  • Einkommen bis 31.000.- Euro: 2 Punkte
  • Einkommen bis 90.000.- Euro: 3 Punkte
  • Einkommen ab 90.000.- Euro: 4 Punkte

Die Idee des Punkte-Wahlrechts kann man gleich weiter entwickeln: So wie es ein gewichtetes Stimmrecht geben sollte, müsste auch die Möglichkeit bestehen, in der Wahlzelle nicht nur ein Kreuzerl, sondern Direkt-Punkte zu vergeben – und zwar Plus- und Minuspunkte. Man muss beim Punktewahlrecht nicht zwischen Ja und Nein unterscheiden, sonder kann ein differenziertes Bild abgeben und alle antretenden Listen und Kandidaten bewerten. Eine Bandbreite zwischen -2 und +2 Punkten wäre dafür sinnvoll. Konkret könnte das bei einer Wahl dann beispielsweise so aussehen:

  • Kandidat A: +2
  • Partei B: -2
  • Kandidat C: 0
  • Partei D: +1

Natürlich klingt das auf den ersten Blick aufwendig und kompliziert. Aber es besteht ja kein Zweifel daran, dass in nicht allzu ferner Zukunft das e-voting kommen wird. Wir werden dann Wahlzellen haben, in denen man elektronisch abstimmen kann oder wir können die Wahl überhaupt per Handy oder vom PC zu Hause aus durchführen. Und da ist es technisch ein Klacks, das Punktesystem einzuführen. Voraussetzung ist natürlich die Datensicherheit, aber auch das wird lösbar sein.

Die einzige Ausnahme im Punktewahlrecht wäre die Bundespräsidentenwahl. Hier belässt man alles, wie es ist: One Man, One Vote, Direktwahl, jeder Bürger hat eine Stimme mit demselben Gewicht. Warum: Der Präsident ist die Symbolfigur der Nation und er hat kein spezielles politisches Programm, über das man abstimmen kann.

Differenzierte Wahlrechtssysteme stellen an den Wähler natürlich auch höhere Anforderungen als das simple Ja/Nein-Wählen, das wir jetzt haben und das nur den Spielraum zwischen dem Kreuzerl, ungültig wählen oder gar nicht wählen offen lässt. Freilich ist in einer differenzierten Wahlrechtssituation auch zu fordern, dass jeder Wahlberechtigte seine Wähler-Kompetenz unter Beweis stellt – das ist sogar die Grundvoraussetzung, um eine bessere und effizientere Politik zu generieren. 

Der Wähler-Führerschein

Ein „Wähler-Führerschein“ ist dafür ideal. Jede Person, die das wahlfähige Alter erreicht, muss, wenn sie wählen gehen will, eine Prüfung absolvieren, in der die wichtigsten demokratiepolitischen Eckdaten abgefragt werden. Eine Wahlfähigkeits-Prüfung muss natürlich kein Meisterprüfungs- oder Matura-Niveau haben, aber sie sollte z.B folgende grundlegende Fragen beinhalten:

  • Wie viele Parteien sind derzeit im Parlament vertreten?
  • Welche Partei ist in der Regierung?
  • Wie heisst der Bundeskanzler und welcher Partei gehört er an?
  • Wie viele Abgeordnete gibt es?

Auch für die Teilnahme an direktdemokratischen Verfahren wie Volksbefragungen und Volksabstimmungen sind die Voraussetzungen der Wahlfähigkeit zu beweisen.  Mündigen Menschen ist es zumutbar, die grundlegenden Daten unseres Staates zu wissen. Es ist sogar eine Wertschätzung dem Wähler gegenüber, wenn man ihn sein Wissen offiziell beweisen lässt und dies amtlich bestätigt.

Wahlrecht nur für Staatsbürger

Eine zentrale Bedingung des Wahlrechtes ist es, dass dieses Recht ausschließlich Staatsbürgern vorbehalten bleibt. Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn es eine definierte Anzahl von Wählern gibt. Jedes „Open-Society“- und „No Borders“-Konzept ist in Wirklichkeit eine antidemokratische Maßnahme, da bei einer Öffnung der Grenzen und bei einem ungefilterten Zuspruch des Wahlrechts an Migranten die regulierenden Fundamente des Staates sofort wegbrechen. Regellose Fluktuationen von Wählern machen tragfähige Staatsordnungen unmöglich und sie machen Politik völlig unberechenbar. Wenn man so will, ist jede Nation eine Art Klub, der klare und strenge Hausordnungen vorgibt und nicht jeden Beitrittswilligen einfach so aufnehmen kann. Klubs, die das tun, gehen chaotisch zugrunde.

Das Kinderwahlrecht muss her

Man ist zwar erst mit 18 Jahren erwachsen und damit voll rechtsfähig, aber man darf schon mit 16 wählen. Das ist per se diskussionswürdig. Jedenfalls ist man aber als Kind bzw. Jugendlicher vor dem 16. Lebensjahr ohne wahlrechtliche Interessensvertretung. Das Wahlrecht ist für Kinder auch mittelbar nicht verfügbar, weil es vom Gesetzgeber ganz einfach nicht vorgesehen ist – obwohl die meisten hier lebenden Kinder österreichische Staatsbürger sind und Staatsbürger als Eltern haben.

Diese Situation ist nicht schlüssig argumentierbar: Kinder haben Interessen und deren Familien haben diese erst recht. Und die Eltern wie auch die Gesellschaft haben Pflichten gegenüber den Kindern. Die Kinder und deren Familien müssen daher gestärkt werden. Das hat nicht nur demokratiepolitische, sondern auch ganz profane Gründe: Die Kinder werden eines Tages erwachsen und sie müssen dann die Folgen der heutigen politischen Entscheidungen, die zunehmend von Kinderlosen(!) getroffen werden, ertragen und ausbaden. Das ist nicht fair und gegen jedes Nachhaltigkeitsprinzip.

Die Einführung des Kinderwahlrechts ginge übrigens ganz einfach: Jede Kinderstimme wird gesplittet, die halbe für den Vater, die andere Hälfte für die Mutter. Die Eltern verteilen die Stimme (bzw. Punkte, siehe oben). Eltern haben generell die Verantwortung für ihre Kinder, warum sollten sie also nicht auch für sie wählen? Gültig wird so ein Kinderwahlrecht aus naheliegenden Gründen erst, wenn die Mutter mindestens 20 Jahre österreichische Staatsbürgerin ist.

Das Thema muss in die Politik

Das aktive Wahlrecht wird wie ein säkulares Sakrament behandelt und es gilt als Tabu, es in Frage zu stellen. Wer in der politischen Debatte auf intellektuelle Redlichkeit Wert legt, sollte sich aber dem Thema stellen und es weiter verfolgen. Und wer die Demokratie und die nationale Souveränität auch in den Zeiten der Globalisierung behalten will, muss die Wahlrechtsfrage sogar prioritär behandeln.

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