In den Gräben der Geschichte

In den Gräben der Geschichte
Foto: Ernst Jünger. Hintergrund: Pixabay.com. Komposition: Info-DIREKT

Kaum ein Schriftsteller des 20. Jahrhunderts sorgt bis heute für eine derartige Polarisierung, wie es Ernst Jünger tut. Für die einen ist er ein „Wegbereiter des Nationalsozialismus“, für die anderen ein wortgewaltiger und produktiver Schriftsteller, der „vor allem in seinem Spätwerk einen unverwechselbaren, funkelnd-aggressiven Stil, der gleichsam den Weltgeist ex cathedra sprechen lässt“ pflegt, wie sein Biograph Heimo Schwilk schrieb.

Dieser Beitrag von Rainer N. Müller ist im Printmagazin Nr. 30 „Vorsicht Mogelpackung! „Die Grundrechte von Menschen afrikanischer Herkunft in Europa““ erschienen, das Sie jetzt kostenlos zu jedem Abo erhalten.

Ende November 2019 versuchte nun der deutsch-französische Kultur-Fernsehsender „Arte“, mit einer neuen Dokumentation, die Person Jüngers in ihren vielschichtigen Facetten einzufangen. „In den Gräben der Geschichte“ ist der Titel des Werkes, das auf ein sehr geteiltes Echo im Feuilleton stieß. So meinte etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), „Arte“ mache es sich zu einfach und schlage Jüngers Leben und Werk über „einen zu simplen moralischen Leisten. Als ließe sich Jünger entschärfen, indem wir ihn denunzieren, mit den abgegriffenen Formeln einer selbstgewissen Ideologiekritik: antiliberal, antidemokratisch und daher ein Wegbereiter des Nationalsozialismus?“ So mache es laut „FAZ“ der im Dokumentarfilm auftretende Historiker Volker Weiß, der damit aber ziemlich eindimensional wirke, wenn er den unglaublich vielschichtigen Schriftsteller Jünger mit moralpolitischen Einschätzungen von heute bewerten wolle. 

„Prüfstein der Gesinnung“

„Kaum ein Autor des 20. Jahrhunderts zeigt so gut die Facetten und die Vielschichtigkeit der deutschen Seele“, schrieb bereits der oben genannte Heimo Schwilk. Und auch die Antwort auf die Einschätzung von Volker Weiß in der jüngsten Dokumentation liefert Schwilk gleich mit: „Für die Generation nach 1968 stellt Jünger so etwas wie einen Prüfstein der Gesinnung dar. Wer ihn schätzt, gilt als verdächtig, wer ihn mit antifaschistischem Pathos ablehnt, gehört dazu – denn der Zeitgeist ist liberalistisch, pazifistisch, sozial und kommunikativ.“

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„Pour le Mérite“-Träger

Der Staat, dessen Wegbereiter Jünger angeblich sein sollte, ließ es sich jedenfalls nach 1933 auch nicht nehmen, einige Hausdurchsuchungen bei der Familie Jünger zu halten. Diese ergaben jedoch keinerlei belastendes Material. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift „Sozialistische Nation“ bemerkte vor ihrer Auflösung 1934 sarkastisch über diese Hausbesuche: „Man fand nichts, nur den ‚Pour le mérite‘ [den höchsten Tapferkeitsorden, der Jünger im Ersten Weltkrieg verliehen wurde].“

„Arte“ jedenfalls macht es sich in der Dokumentation gewohnt einfach, indem man Jünger selbst kaum zu Wort kommen lässt, stattdessen aber um so mehr „Experten“. Die Lebensstationen Jüngers werden kurz angeschnitten, bevor sich Volker Weiß dazu versteigt, Jünger Antisemitismus zu unterstellen. Dabei „übersieht“ der moralpolitisch gefestigte Historiker offenbar, dass Jünger sich nie in dieser Richtung geäußert hat – im Gegenteil: die Politik des Dritten Reiches war ihm besonders in diesem Punkt immer zuwider.

Eine verpasste Chance

Und in dieser Art und Weise geht es in wesentlichen Teilen des Filmes so weiter. Man schneidet vor allem Material aus einem Fernsehinterview mit Jünger aus dem Jahr 1975 zusammen und verliert sich ansonsten in Allgemeinpositionen. Wirklich Neues erfährt man in der „Arte“-Produktion über Ernst Jünger nicht. Wieder eine verpasste Chance, diesem Schriftsteller und seinem Werk wirklich näher zu kommen. 

 

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