Der Verrat an den Kurden im Kampf gegen den IS

Der Verrat an den Kurden im Kampf gegen den IS
Bilder Kurden: Kurdishstruggle via flickr.com (CC BY 2.0); Bild Herbert Fritz: Info-DIREKT; Komposition: Info-DIREKT

Der US-geführte Überfall auf den Irak im Jahre 2003 gilt unbestritten als die Geburtsstunde des IS. Nirgendwo hatte sich die Brutalität, aber auch die Widersprüchlichkeit und Kopflosigkeit amerikanischer Außenpolitik so klar gezeigt wie im Nahen Osten. 

Dieser Gastbeitrag von Herbert Fritz ist im Printmagazin Nr. 30 „Vorsicht Mogelpackung! „Die Grundrechte von Menschen afrikanischer Herkunft in Europa““ erschienen, das Sie jetzt kostenlos zu jedem Abo erhalten.

Schon lange vor dem Jahre 2003 hatten die USA in dieser Region ihre rücksichtslose Machtpolitik demonstriert, doch die plumpe Lüge von den angeblichen Massenvernichtungsmitteln des irakischen Diktators und der damit begründete Überfall auf den Irak war selbst für US-amerikanische Verhältnisse außergewöhnlich.

„Ohne Irakkrieg kein IS“

Die antiamerikanische Stimmung im Irak steigerte sich, als im Frühjahr 2004 die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib bekannt wurden und Fotos in den Zeitungen und Berichte im Fernsehen über die Demütigungen der Gefangenen erschienen waren.                                                                                                                            Während der folgenden Jahre vervollständigten die amerikanischen „Befreier“ das angerichtete Chaos, das wiederum zur Bildung und Stärkung arabischer Widerstandsgruppen führte und schließlich in der Gründung des ISIS gipfelte.  

Am 29. November 2015 gestand der bekannte Ex-US-Geheimdienstchef Mike Flynn in einem Spiegel-Interview: „Ohne den Irakkrieg würde es den Islamischen Staat heute nicht geben. Wir waren zu dumm!“        

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Kurden als starke Bündnispartner 

2011 hatte der IS (damals noch ISIS) sein Operationsgebiet auf Syrien ausgeweitet. Er wurde von der US-geführten Koalition und der von Russland und dem Iran unterstützten syrischen Armee bekämpft, wobei die rund 50.000 Kämpfer der Kurdenmiliz YPG, die dort die „Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)“ anführt, als die verlässlichsten und erfolgreichsten Bodenkräfte in Syrien galten.

Im Juni 2012, als die syrische Armee größere Truppenkontingente aus den kurdischen Gebieten zugunsten einer Mobilisierung gegen die FSA abzuziehen begann, bekämpften die syrischen Kurden den IS in ihren Siedlungsgebieten im Norden Syriens. Im Laufe der folgenden Jahre konnten die SDF-Einheiten einen Großteil des vom IS beherrschten Gebietes erobern. Am 26. Jänner 2015 gelang den Kurden nach monatelanger Belagerung durch den IS die Befreiung Kobanes.

Nach der Rettung von zehntausenden im Sindschar-Gebirge eingeschlossenen Jesiden durch eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Kämpfern der PKK und ihrer syrischen Schwesterpartei PYD zählt die erfolgreiche Verteidigung von Kobane zu den beeindruckendsten Zeugnissen kurdischer Wehrhaftigkeit.

Der Wendepunkt

„Wir werden es niemals zulassen, dass an unserer Grenze im Süden, dem Norden Syriens, ein kurdischer Staat gegründet wird. Koste es, was es wolle.“ So kommentierte der türkische Präsident Erdogan den Erfolg der kurdischen Einheiten, obwohl die PYD, ganz im Sinne ihrer großen Schwesterpartei PKK, einen „demokratischen Konföderalismus“ ohne Änderung der Grenzen und keineswegs die Gründung eines kurdischen Staates anstrebt. 

Den endgültigen Wendepunkt in der türkischen Kurdenpolitik leitete aber die Parlamentswahl am 7. Juni 2015 ein. Erdogans AKP hatte die absolute Mehrheit verloren, was er offensichtlich als eine Art Majestätsbeleidigung, die von undankbaren Untertanen in den Wahlzellen begangen worden war, betrachtete und er war keineswegs bereit, die neuen Machtverhältnisse zu akzeptieren.

Erdogans Kampf gegen Terror als Vorwand

Eine Wiederholung der Wahl musste den „Fehler“ korrigieren. Zu Hilfe kam ihm der  Selbstmordanschlag von Suruc am 20.Juli 2015 mit 32 Toten und über hundert Verletzten, der ihm als willkommener Vorwand diente, den Kampf gegen den Terror auszurufen und sich den Luftangriffen der US-geführten Allianz gegen den IS anzuschließen.

Allerdings diente ihm der „Kampf gegen den Terror“ nur als Vorwand, um gegen die PKK im eigenen Land und gegen die mit ihr befreundete PYD vorzugehen. So standen einem Luftangriff auf Stellungen des IS sieben auf jene der PKK gegenüber. 

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„Operation Olivenzweig“

Am 20. Jänner 2018 begann sich Erdogan aktiv mit Bodentruppen an den Kämpfen in Syrien zu beteiligen. Er startete die „Operation Olivenzweig“ mit der Begründung, man wolle dort bei der Terrorbekämpfung helfen. Tatsächlich bekämpften die Türken jene, die den Terror des IS bekämpft hatten. Ohne Wohlwollen Russlands, das mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad verbündet ist, wäre die türkische Offensive in Afrin, die zur Vertreibung zehntausender Kurden geführt hatte, nicht möglich gewesen. Anfang Jänner 2018 erfolgt die Gründung einer 30.000 Mann starken Grenzschutztruppe aus „Mitgliedern des Militärbündnsisses (SDF)“.

Die Rolle der USA

Da die türkischen Angriffe die weitere Eindämmung des IS gefährdeten, gaben sich die USA zunächst ihren kurdischen Verbündeten gegenüber loyal. So patrouillierten seit Anfang November 2018 US-Soldaten gemeinsam mit Kämpfern der SDF im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien. Um aber Erdogan nicht zu sehr zu vergrämen, schickten die Amerikaner Matthew Palmer, Unterstaatssekretär im US-Außenministerium, mit einem, wie sie glaubten, politischen Geschenk nach Ankara. Sie hatten ein 12-Millionen-Dollar-Kopfgeld auf die drei wichtigsten PKK-Führer ausgesetzt, davon 5 Millionen auf Murat Karayilan.  

Gleichzeitig aber machten die Amerikaner den Türken klar, dass sie die YPG trotz deren unbestrittener PKK-Verbindung weiter als Verbündete betrachten. So lieferten sie den syrischen Kurden laut türkischen Medien erneut 300 Lastwagenladungen Waffen und Munition. Die Einrichtung der US-Beobachtungsposten war ein weiteres deutliches Signal an die Türkei, ihre Angriffe auf die syrischen Kurden einzustellen. Die Stellungen würden klar gekennzeichnet, „damit die Türken wissen, wo sie sind“, sagte US-Verteidigungsminister Mattis. 

Abzug der US-Truppen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Abzug seiner Truppen an. Die Terrorbande des „Islamischen Staats“ (IS) in Syrien sei geschlagen und damit der einzige Grund für die amerikanische Truppenpräsenz in dem Land entfallen.

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Trumps Verrat an den Kurden

Am 7. Oktober vollendeten die US-Amerikaner den Verrat an ihren bisherigen Verbündeten. Sie zogen sich wegen der bevorstehenden Offensive der Türkei in Nordsyrien zurück. Wie die US-Regierung nach einem Telefonat von Präsident Donald Trump mit dem türkischen Staatschef Erdogan mitteilte, würde die US-Armee künftig nicht mehr in der „unmittelbaren Gegend“ präsent sein. Demnach sollen die US-Soldaten abgezogen werden und somit den Weg für eine türkische Militäroffensive freimachen.

Bereits am 9. Oktober begann die türkische Offensive. Knapp zwei Wochen später ließ Trump wissen, er habe nie versprochen, „die Kurden für den Rest ihres Lebens zu schützen“.

Die Verlierer sind die Kurden

Er verlor kein Wort darüber, dass es die Kurden waren, die mit ihrem Blut den mörderischen IS besiegt hatten, während die US-Amerikaner ohne direkte Feindberührung kaum Verluste zu beklagen hatten. Er verlor in der Folge kein Wort über die einsetzende Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Grenzgebiet, kein Wort über begangene Folterungen. Bereits am 11. November schrieb die NZZ, dass „die Offensive der Türkei über 170.000 Frauen, Männer und Kinder in die Flucht getrieben habe. Sie hatten in ihrer Heimat alles zurücklassen müssen, haben alles verloren.“ 

Über den Autor

Herbert Fritz, geboren 1939 in Wien, ist promovierter Jurist. Er nahm 1961 am Südtiroler Freiheitskampf teil und organisierte gemeinsam mit der „Kronen Zeitung“ die Aktion „Elsässische Kinder nach Österreich“. Nach seiner Pensionierung als Lehrer unterrichtete er als ehrenamtlicher Deutschlehrer Rußlanddeutsche in Ostpreußen. Bereits seit den 1960-er Jahren pflegt er besonders in den Nahen Osten sehr gute Kontakte. Fritz gilt quer über alle politischen Lager als profunder Kenner der Kurden. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, hält packende Vorträge und verfasste u.a. die beiden Bücher „Die kurdische Tragödie – Ein Volk zwischen den Fronten“ und „Kampf um Kurdistan – Für Freiheit und Selbst-bestimmung“.

 

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