Blamage für Nehammer: Angriff auf Parlament war frei erfunden

Bild Innenminister Karl Nehammer (ÖVP): Von <a rel="nofollow" class="external text" href="https://www.flickr.com/people/159530260@N03">Bundesministerium für Finanzen</a> - <a rel="nofollow" class="external text" href="https://www.flickr.com/photos/159530260@N03/49351366976/">Ministerrat am 8.1.2020</a>, CC BY 2.0, Link; Bild Demo Wien: Privat

Die große Aufregung um den angeblich von Corona-Maßnahmengegnern geplanten Sturm auf das Parlament am 31. Jänner war eine weitere ÖVP-Nebelgranate. Während die Polizeigewerkschaft AUF dieser Darstellung sofort widersprochen hatte, benötigte es zwei Monate, bis eine parlamentarische Anfrage die ganze Wahrheit ans Licht brachte.

Die Kampagne des ÖVP Innenministers wurde von Kritikern als ungeheuerlich bezeichnet. Noch am Tag der völlig friedlichen Kundgebung, bei der tausende Corona-Maßnahmengegner trotz Polizeischikanen durch Wien zogen, trat der Innenminister vor die Kameras und behauptete abenteuerliche Dinge. So hätte gerade noch verhindert werden können, dass Demonstrationsteilnehmer „das Parlament erstürmen“. Nehammer verglich die Vorfälle gar mit der Besetzung des Kapitols in Washington. Zahlreiche mit üppigen Förderungen angefütterte etablierte Medien übernahmen die Behauptungen unreflektiert.

Anfragebeantwortung ergibt: es gab nie einen versuchten „Sturm“

Hierzu stellte der freiheitliche Nationalratsabgeordnete Hannes Amesbauer am 11. Februar eine parlamentarische Anfrage (5312/J). Diese wurde nun vom Innenministerium beantwortet und es kommt dabei ans Tageslicht: An den damaligen Erzählungen des Ministers ist überhaupt nichts dran. Damals war der ÖVP die Geschichte wohl wichtig, um die Teilnehmer an einem regierungskritischen Marsch in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

Dramatische Geschichte offenbar seit Wochen geplant

Zunächst sollte man nochmal rekapitulieren, mit welchen dramatischen Schlagzeilen der Boulevard Nehammers panischen Alarmismus damals aufnahm:

Krone: LÜCKE BEIM PARLAMENT: Protokolle belegen: So dramatisch war Demo-Einsatz
Krone: Einsatz-Bilanz in Wien: Demonstranten wollten „Parlamentstreppe stürmen“
Kosmo: Dramatischer Demo Einsatz: Planten sie das Parlament zu stürmen?
Heute: Das Polizeifunk-Protokoll zum geplanten Parlamentssturm

Freilich, wer in den Wochen zuvor die geförderten Hofmedien studiert hat, hätte den Plan Nehammers, eine solche herbeigeredete Situation für Eigen-PR zu nutzen, durchschauen können:

DiePresse: Ist ein Sturm auf das Hohe Haus in Wien denkbar?
Wiener Zeitung: Welche Strafen bei einem Sturm auf das Parlament drohen
MSN: Nach US-Chaos wollen FPÖ-Fans Parlament stürmen
ORF: Washington-Krawalle: Parlament in Wien erhöht Sicherheit
Kurier: Corona-Demonstranten: Polizei untersucht Pläne für einen Staatsstreich

Nicht einmal ein Ansatz von Straftaten

Die Strategie der Regierungspartei ÖVP war also durchschaubar. Dass es in Wahrheit keine Straftaten – ja nicht einmal den Ansatz davon gab, kann man nun der Anfragebeantwortung entnehmen:
Niemand will wissen, wer das angebliche Funk-Protokoll an die Medien übermittelt hat. Tatsächlich weiß nicht einmal jemand, ob es echt ist. Innerhalb der Polizei wurde dazu auch nicht ermittelt. Funkprotokolle der Polizei würden aber normalerweise an niemanden weitergeleitet. Das tatsächliche Funkprotokoll möchte das Innenministerium nicht zur Verfügung stellen – angeblich vor allem aus datenschutzrechtlichen Gründen aber auch aus einsatztaktischen Überlegungen.

Knackpunkt ist allerdings die Beantwortung der Fragen 24-28:

Konnten während oder nach dem Einsatz Personen ausgeforscht werden, von denen eine konkrete Gefahr oder ein konkreter Verdacht ausgehen konnte, die Absicht zu haben, in das Baustellengelände des historischen Parlamentsgebäudes eindringen zu wollen?
• Wenn ja, wie viele Personen konnten ausgeforscht werden?
• Wenn ja, wurden diese Personen festgenommen?
a. Wenn nein, warum nicht?
• Wenn ja, wurden diese Personen angezeigt?
a. Wenn nein, warum nicht?
• Wenn ja, welches Ziel oder welche Absichten verfolgten die Personen mit dem versuchten Eindringen auf das Baustellengelände des historischen Parlamentsgebäudes?

Die Antwort:

Nein, die von den Kriminalbeamten wahrgenommene Ankündigung sich zum Baustellengelände des historischen Parlamentsgebäudes zu begeben, wurde durch sofortige Sicherungsmaßnahmen unmöglich gemacht. Mangels Vorliegens einer Straftat oder eines gefährlichen Angriffs gibt es keine Grundlage zur Ausforschung dieser Personen.

Keine Beweise, keine Videos – es bleibt nichts übrig

Es gibt außer dem Hörensagen von angeblichen Ermittlern in Zivil keinerlei Videoaufzeichnungen, welche die Geschichte vom angeblich geplanten Sturm auf das Parlament – richtiger auf die Parlamentsbaustelle – untermauern. „Es gibt keine Bild- oder Videoaufnahmen zum Objektschutz.“ Eine unverzügliche Video-Dokumentation war angeblich nicht möglich, wobei sich die Frage stellt, was man dokumentieren hätte sollen. Denn es gab keinerlei Versuch einer Annäherung oder Erstürmung. Wie man in diesem Video sieht, sind die Demonstranten einfach friedlich an der Baustelle vorübergezogen:

Es ist nicht der einzige frei erfundene „Sturm“. Einige Wochen später wurde die Erstürmung eines Versicherungsgebäudes behauptet. Auch diese sollte sich als komplette Zeitungsente erweisen. Und auch einen angeblichen „rechtsextremen“ Angriff auf die ÖVP-Parteizentrale hat es nie gegeben.

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