Chemnitz: Tote Hosen statt Böhse Onkelz und Gabalier

Chemnitz "Wir sind mehr", Tote Hosen, Andreas Gabalier
Bild Campino: By Haeferl [CC BY-SA 3.0 ], from Wikimedia Commons; Bild Rosenkranz: privat; Bild Gabalier: Von Harald Bischoff - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link; Bild Hintergrund: von Hildegard Möller (own work by Hildegard Möller) [GFDL, CC-BY-SA-3.0 oder CC BY 2.5 ], via Wikimedia Commons; Komposition: Info-DIREKT

Musik ist ja seit jeher immer ein wenig Ausdruck der persönlichen Überzeugung. Sie zog ins Feld gegen Kriege und unliebsame Präsidenten. Jetzt eben auch gegen eine ganze Wählerschicht.

Ein Gastkommentar von Verena Rosenkranz

Im Fall des wohl bekanntesten Musikfestivals der 60er-Jahre, dem Woodstock, stand die politische Meinungsäußerung sogar im Mittelpunkt. Sie war zumindest der vordergründige Zweck des Zusammenkommens. Allerdings: Die Weltspitze der damaligen Popkultur – die Beatles, Rolling Stones, Doors, Blind Faith oder Bob Dylan – glänzte damals durch Abwesenheit.

Bis auf ausreichend Drogen fehlte es der Veranstaltung eigentlich an Allem. Am Ende musste die US-Army Notverpflegung und Notärzte einfliegen. So wurde das aus dem Vietnamkrieg bekannte Rotorenknattern der Armeehubschrauber gerade in jenem Augenblick zum Symbol des rettenden Staates, als die Bands gegen die verhasste US-Politik zu Protest ziehen wollten.

Das letzte Aufbäumen

Eine ganz ähnliche Szene bot sich dem geneigten Musikfreund vor mittlerweile über zehn Jahren. Im hintersten Eck des provinzialen Österreich, auf den pannonischen Feldern. Da grölte sich Sänger Campino mit seiner vermeintlich „systemkritischen“ Band, den Toten Hosen, die Seele gegen den damals noch oppositionellen HC-Strache aus dem Leib. Die Botschaft jedoch kam am Nova Rock gar nicht gut an. Für die Blauwähler unter den Anhängern der Gruppe hörte Politik nämlich bei populärer Musik auf. Ohne Zweifel: Es gibt genügend Bands, die sich politische Botschaften unterschiedlicher Richtungen explizit auf die Fahnen schreiben. Dann aber eben ohne die breite Masse als Zielpublikum.

Vergessener Musiker und vergessener Kanzler beim Bier

Auch in klägliche Vergessenheit geratene Musiker wie Wolfgang Ambros hätten sich dessen besinnen sollen. Wenn sich der gescheiterte Bundeskanzler Kern nämlich mit dem abgehalfterten Pensionistenmusiker auf ein Bier trifft, um über die aktuelle Koalition zu lästern, ist das für keinen der beiden eine Auszeichnung.

Im wahrsten Sinne des Wortes „umsonst“

Offenbar scheint es allerdings gerade modern zu sein, bei fehlendem Einspielerfolg seine politischen Kontakte oder Überzeugungen zu nutzen, um wieder ins Gespräch zu kommen. Dass man allerdings gratis ein Konzert gibt, um irgendwie auf sich Aufmerksam zu machen, zeigt einen enormen Grad der Verzweiflung. Während sich tausende junge Menschen um über 180 Euro eine Eintrittskarte für mehrtägige Musikveranstaltungen kaufen, spielen viele der Bands die nächsten Tage „umsonst“ – im wahrsten Sinne des Wortes.

Die politische Botschaft interessiert nicht einmal die Besucher

Sachsen ist ja immer eine Reise wert. Die politische Aussage hinter den Auftritten dürfte beim Durchsehen der Gästeliste in sozialen Medien den Meisten egal sein. Da findet sich der 20-jährige Pegida-Anhänger genauso wie der schwule Hundefriseur aus Westberlin.

Wenn die Beatsteaks und Scorpions jetzt noch auf den bunten Willkommenszug der Hosen, Kraftklub und Caspar in Chemnitz aufspringen, könnte das wirklich eine Megastimmung werden. So viel kann der Sprit für musikverliebte Menschen gar nicht kosten, in Vorfreude auf gleich mehrere ihrer musikalischen Favoriten.

Die geben sich unter dem Motto „Wir sind mehr“ ein Stelldichein gegen die von ihnen dämonisierten Demonstranten von Chemnitz. Mit Lauten und Saitenspiel gegen die verständliche Wut tausender Bürger auf ein brandgefährliches System? Großes Kino.

Gute Künstler haben die Propaganda nicht nötig

Aber jetzt mal im Ernst: Warum hat eigentlich noch niemand die Böhsen Onkelz oder Andreas Gabalier angerufen? Die Situationskomik wäre kaum zu überbieten. Letztere gäben sich für eine derart durchsichtige Propaganda wohl gar nicht her. Nicht alle Künstler treibt die Panik vor dem Vergessenwerden um, nicht alle haben solche Peinlichkeiten nötig.

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